Die Erkenntnis schmerzt ungemein: Indem Igor Strawinsky mit seinem Musiktheater »L’histoire du soldat« aus dem Jahr 1918 das Geschehen des 1. Weltkriegs reflektierte, schuf er ein zeitlos gültiges Drama, das sich zwar als gelesenes, getanztes und gespieltes Jahrmarktsstück tarnt, das tatsächlich aber in der Kombination aus Text, Klang und Bewegung ein Welttheater zelebriert, das heute so aktuell ist wie einst. Ein Soldat liefert sich dem Teufel aus – ein russisches Märchen aus der Feder Alexander Afanassjews ursprünglich, gemünzt auf die Rekrutierungspraxis des russischen Zaren Nikolaus I., unter dessen Regentschaft Soldaten zu Strafgefangenen der eigenen Armee wurden und damit verführbar für alles, was Glück und Sinnenfreude versprach. Wer wollte, wer will es ihnen verübeln?
Doch Strawinsky und sein Librettist Ramuz liefern kein politisches Lehrstück, klagen nicht an, weisen keine Schuld zu. Vielmehr schärfen sie Bewusstsein und Wahrnehmung, vergeben zwar durchaus Sympathien, appellieren in sachlich lakonischem Ton jedoch vor allem an den kritischen Geist ihres Publikums. Im spielerischen Kindertrompetenton und in den parodistischen Verzerrungen der neoklassisch gefärbten Musik wird dabei durchaus ein Moment bloß erzählender Distanz spürbar, die dennoch fesselt, da der Komponist schmissige Rhythmik sowie Anklänge an die russische Folklore und den soeben aufkommenden Jazz zu einer raffinierten Stilkollage verflicht. Eine Geschichte mit Moral – und mit offenem Ende…