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Cenerentola – die aus der Asche kam

 

Cenerentola in Weimar. Welche Bezugspunkte gibt es zwischen dieser leichtfüßigen italienischen Burleske und dem ehrwürdigen Ort deutscher Hochklassik? Rossini und sein Librettist haben das Märchen vom Aschenputtel zu einem philosophischen Erziehungs-Stück umfunktioniert. Alle magischen Motive sind einer rationalen Führung gewichen oder aber: statt einer Fee ein Philosoph!

 

Dieser Philosoph (Alidoro) an einem Ort wie Weimar, das wie kein anderer philosophische Geister über Jahrhunderte gebündelt hat – nahezu zwingend musste für mich Weimar zum gedanklich-spielerischen Gegenstand der Inszenierung werden. Aber an welchem Ort in Weimar lässt sich eine Entwicklung aus der Asche zu humanistischer Hochkultur oder, wie der Untertitel der Oper lautet, zum »Triumph der Güte« zeigen?

 

Natürlich in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek! Dem Pantheon der Weimarer Klassik!

 

Im berühmten Rokokosaal, in dessen elliptischer Galerie-Architektur alle philosophischen Geister in Gips versammelt stehen; im Rokokosaal, der in seiner Vertikale auf den »Genius des Ruhms« verweist; im Rokokosaal der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, die Wolfgang von Goethe bis zu seinem Tod leitete.
Genau 20 Jahre ist es her, dass 2004 die Herzogin Anna Amalia Bibliothek abbrannte – der größte Bibliotheksbrand der Nachkriegszeit – und ein Großteil ihrer Bestände zu Asche wurden. Hochkultur und Asche. Humanistische Ideale und Zerstörung. In dieser Spanne ist unsere »Cenerentola«, unser »Weimarer Aschenputtel« angesetzt!

 

Ein subversives Gedankenspiel, ein subversives »Dramma Giocoso«: Kein Kabelbrand, sondern unsere niederschwellige Tik-Tok-Gesellschaft hat alle einstige Weimarer Hochkultur, alle humanistischen Werte in Asche gelegt.

 

Aber die verbrannten Geister kehren als Phönix aus der Asche zurück, suchen ihre ignoranten Vernichter heim, exerzieren an ihnen ein amüsantes Erziehungs-Spiel. Ein launiger Roll-Back und Clash von Epochen und Kulturen. Wolfgang von Goethe als Mastermind, Herzog Carl August, sein Kumpan in Jux und Tollerei, in rauschhafter Maskerade und improvisierendem Rollenspiel. Bevor sie zu ehrenvollen Denkmälern ihrer selbst erstarrt sind, trieben beide in ihren ersten gemeinsamen Weimarer Jahren ab 1775 ihr galoppierendes Unwesen, in wilder Sturm-und-Drang-Attitüde hoben sie die Kleinstadt aus den Angeln.
Mit Sicherheit lässt sich sagen: Der Spieldrang dieser Zeit hatte den Esprit und Drive von Rossini! 

 

Aschenputtel als sehnsüchtiges und burleskes Roll-Back in eine verlorene Geisterwelt – ein Plädoyer für alles, was wir mit heutiger Niederschwelligkeit zu zerstören drohen.

 

Redaktion: Roland Schwab